Wir berliner
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Prolog

Die polnische Minderheit Berlins wird meist mit Arbeiterschichten assoziiert. Die Geschichte der polnischen Aristokratie in dieser Stadt wurde oft, sogar von Wissenschaftlern vernachlässigt. Der Prolog soll einen Überraschungseffekt hervorrufen, erreicht durch die Erzählung über eine polnische Aristokratenfamilie, die Familie Radziwiłł. Er ist so konstruiert, dass am Beispiel einer Familie alle in der Ausstellung enthaltenen Elemente, vom Alltagsleben über Vereinstätigkeit, Kunst, Musik bis zur Politik, gezeigt werden.

Die Radziwiłłs kamen 1796 nach Berlin, als der Protoplast der Familie Antoni Henryk die preußische Prinzessin, Luise von Hohenzollern heiratete. Von diesem Zeitpunkt an bis zu der Erlangung der Unabhängigkeit Polens gehörte die Familie zur Stadtelite, nahm aktiv an ihrem Leben teil und trug zu ihrer Entwicklung bei. Das Familienleben der drei ersten Generationen Radziwiłłs konzentrierte sich um das Palais in der Wilhelmstr. 77, das besser unter dem Namen Hôtel Radziwiłł bekannt war. Neben der königlichen Familie waren u. a. Wilhelm von Humboldt, Frédéric Chopin, Felix Mendelssohn Bartholdy, Karl Friedrich Schinkel, Christian Daniel Rauch oder Gaspare Spontini öfter Gäste des Hauses. In Zeiten Napoleons wählte der Marschall Victor (Victor Claude Perrin) dieses Haus als seinen Hauptsitz. Als das Palais zu klein wurde, um die vierte Generation der Radziwiłłs zu beherbergen, wurde es 1874 verkauft. Ein Jahr später ist das Haus in den Besitz des Staates übergegangen, später befand sich dort das Reichskanzleramt.

Der Prolog wirft die für die gesamte Ausstellung zentrale Frage auf: Wer ist ein Pole in Berlin?

Die Szene liefert auch einen Einblick in den Kontext der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. Die Tatsache, dass die Radziwiłłs und Raczyńskis zu erkennbaren Einwohnern Berlins, sogar zu Symbolen des Berliner Salons wurden, resultierte nicht nur aus ihren besonderen Persönlichkeiten, sondern vorrangig daraus, dass sie – infolge der drei Teilungen Polens – zu Bürgern des preußischen Staates wurden. Demzufolge konnten sie in der preußischen Hauptstadt ihre Begabungen besser einbringen.

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01. Luiza und Antoni Radziwilowie
02. Anton Radziwiłł, „Faust”, Partitur, Muzeum w Nieborowie i Arkadii
03. Palais des Fürsten Radziwill um 1830, Landesarchiv Berlin
04. Elisa als Peri, Zeichnung von Wilhelm Hensel, Reproduktion in: B. Henning, Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid, Berlin 1922