Wir berliner
Wir berliner

Akt I

In den Fesseln der Politik

Nach den Teilungen Polens (1772, 1773, 1795) und nach dem Wiener Kongress (1815) verändert sich die politische Landkarte Europas dauerhaft (bis 1918). Einen großen Teil des preußischen Staates bildeten Gebiete des ehemaligen polnischen Staates, ca. ein Drittel der Bewohner Preußens sprach entweder polnisch oder eine andere slawische Sprache. Bis 1848 genoss das Großherzogtum Posen Autonomie. Auf dem preußischen Hof erschienen polnische Adlige und Vertreter freier Berufe. Einen großen Nachhall fanden in Deutschland der Novemberaufstand von 1830 sowie die polnischen Freiheitsbestrebungen. Die „Polenbegeisterung” gelangte auch nach Berlin. Zum Schwanengesang dieser Periode wurde die Befreiung von Ludwik Mierosławski aus dem Gefängnis im Berliner Stadtteil Moabit während des Völkerfrühlings 1848.

In den nächsten ca. einhundert Jahren (1848–1945) entwickelte sich ein reales als auch imaginiertes Bild des „ewigen Feindes“. Ein klassisches Beispiel für die damals vorherrschende Politik ist die von Professor Klaus Zernack und seiner Schule definierte „negative Polenpolitik“ fast aller preußischen/deutschen Regierungen, die im Gegenzug den „polnischen Verteidigungsnationalismus“ verstärkte. Ohne diesen Kontext ist es unmöglich, die Standpunkte und Ansichten der Polen im damaligen Berlin zu verstehen.

In derselben Zeit verwandelte sich Berlin von einer Provinzstadt in eine Hauptstadt europäischen Formats und eine Metropole, die Tausende von Emigranten, insbesondere Polen anzog. Ihre Zahl betrug um die Jahrhundertwende 19./20. Jh. ca. 100.000 Menschen. Polen und polnisch-sprechende Berliner begannen, einen wichtigen Teil der deutschen Hauptstadt zu bilden.

Der Zweite Weltkrieg wurde für viele Polen zu einem tragischen Finale. Einen Vorgeschmack lieferte die zynische Politik der Nazis, in deren Folge 6.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Berlin vertrieben wurden. Die Mitglieder polnischer Organisationen kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager.
Berlin wurde zu einer großen Fabrik und einem Ort, an dem Tausenden von Zwangsarbeitern großes Leid widerfuhr. Diesen Ereignissen ging eine aus der heutigen Perspektive kaum verständliche Episode voraus: eine wahre Blüte polnischer Kultur in der Nazi-Zeit. Nach dem Unterzeichnen des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes fand eine enorme Belebung des Kulturaustauschs statt. Berlin war eine Auftrittsbühne für die berühmtesten polnischen Künstler.

In den politischen Kontext schreibt sich auch das Leben der Polen im geteilten Berlin ein. In der Hauptstadt der DDR wurde das Leben der kleinen polnischen Minderheit nicht wahrgenommen, was mit den politischen Richtlinien des Ostblocks übereinstimmte.

Eine Wende begann in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Trotz einer „reglementierten“ Freiheit in Berlin wurden hier die Einflüsse der polnischen Kultur lebhaft aufgenommen. Die DDR-Opposition suchte nach Unterstützung und Verhaltensmustern in Polen. Ungefähr zur selben Zeit bildete sich in West-Berlin eine immer stärkere Enklave polnischer Emigration, nicht nur politischen, sondern auch ökonomischen Charakters. Dank aufgehobener Visapflicht wurde Berlin zum „polnischen Fenster“ zur westeuropäischen Demokratie. Einen eigentlichen Umbruch brachte erst das Jahr 1989.

Szene I Hier spielte sich die Politik ab
Szene II Revolutionsfabrikanten
Szene III Unter der roten Fahne
Szene IV Trügerisches Präludium einer Tragödie
Szene V Die Katastrophe
Szene VI Hinter der Mauer
Szene VII Vor der Mauer

| Szene I
Revolutionsfabrikanten
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01. Ferdinand Radziwiłł, Archiwum Archidiecezjalne w Gnesen
02. Noch ist Polen nicht verloren, Karikatur, „Humoristische Blätter“, Wien 1886
03. Polen
| Szene II
Hier spielte sich die Politik ab
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01. Das Hambacher Fest, Hans Mocznay, 1977, Deutsches Historisches Museum
02.
03. Ludwik Mierosławki, Lithografie, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
| Szene III
Unter der roten Fahne
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01. Julian Marchlewski
02. Leere Mitgliedskarte der Polnischen Sozialistischen Partei in Preußen, Landesarchiv Berlin
03. Rosa Luxemburg (um 1915), Fotoarchiv Landesarchiv Berlin
04. Mitglieder der Polnischen Sozialistischen Partei in Preußen, Hirschgarten 19. Juni 1898, Landesarchiv Berlin
| Szene IV
Trügerisches Präludium einer Tragödie
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01. Zurückgebliebenes Gepäck der aus dem Deutschen Reich abgeschobenen Juden auf dem Bahnhof in Bentschen, Oktober 1938, Instytut Pamięci Narodowej, Warszawa
02. Goebbels zu Besuch in Polen bei Marschall Pilsudski
03. Abzeichen des Glaubens und der Standhaftigkeit, Helena Lehr, Edmund Osmańczyk, Polacy spod znaku rodła, Warszawa 1972
| Szene V
Die Katastrophe
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01. Major Alfons Jerzy Jakubianiec, Pseudonym „Kuba” (1905-1945) Quelle: Juliusz Pollack, Wywiad, sabotaż, dywersja. Polski ruch oporu w Berlinie 1939-1945,
Ludowa Spółdzielnia Wydawnicza, Warszawa 1991,Foto Nr. 14
02. Fotos von Zwangsarbeitern aus dem Bestand der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“
03. Bericht über die Vollstreckung des Todesurteils an Josef Augustyniak Gedenkstätte Plätzenese, Berlin
| Szene VI
Hinter der Mauer
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01. Wojciech Drozdek
02. Karina Sygulla
03. Bolko Kliemek
| Szene VII
Vor der Mauer
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01. Foto dreier Soldaten der UDSSR, DDR und VR Polen mit davonfliegender Friedenstaube vor dem Schriftzug „PRZYJAŹN 1987“/ „FREUNDSCHAFT 1987“, Polnisches Institut Berlin, Archivbestand
02. Elektrownia Jöneschwelde w NRD budowana przez polskich specjalistów Polnisches Institut Berlin, Archivbestand
03. Ein Vertrag über das Freundschaftswerk der Jugend der DDR und der VR Polen ist in Wroclaw vom Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, und vom ersten Sekretär des ZK der PVAP und Vorsitzenden des Staatsrates der VRP, Wojciech Jaruzelski, unterzeichnet worden. Links sitzend: Eberhard Aurich, 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ. Mitte stehend: Egon Krenz, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED. Links neben ihm: Oskar Fischer, Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR.
Polnisches Institut Berlin, Archivbestand
04. Aus der Woiwodschaft, von Strasse zu Strasse ... alles muss unter der Kontrolle der Führungsmacht stehen, Polnisches Institut Berlin, Archivbestand